Das
Werk hat es nicht leicht gehabt. Vor allem die Deutschen nahmen es dem
italienischen Komponisten Arrigo Boito übel, dass er sich mit seinem „Mefistofele“
an einem Filetstück ihrer Nationalliteratur „vergriff“, behandelte er doch
keinen geringeren Stoff als Goethes „Faust“ – einschließlich übrigens des
Zweiten Teils. Da geriet der Tonsetzer, der sich unter anderem auch als
Librettist (etwa für Verdis „Otello“), als Autor und engagierter Journalist
einen bedeutenden Namen machte, zwischen mehrere Feuer: Seine Landsleute warfen
ihm zu große Nähe etwa zum teutonischen Giganten Richard Wagner vor (dessen
„Tristan“ er übersetzte), und die Goethe-Patrioten mochten ihm nicht verzeihen,
dass er den „Faust“ auf die Opernbühne zerrte.
Dem strengen
Hugo Wolf etwa war der „Mefistofele“, der 1868 an der Mailänder Scala
uraufgeführt wurde (und zunächst zum Fiasko wurde), nicht mehr als eine „im
Fieber des Größenwahns erzeugte Spottgeburt“, und Verdammungsurteile dieser Art
haben die Aufnahme dieser Oper namentlich auf deutschen Bühnen anhaltend
erschwert. Dabei bietet die grandiose Partitur des Werkes dem Theater üppige
Möglichkeiten zur Entfaltung musikalischer wie szenische Wirkung. Große
Chor-Auftritte, schwelgende Kantilenen, diabolische Abgründe und hochdramatische
Partien verbinden sich hier zu einer opulenten Ohr- und Augenweide, deren
unzweifelhafter Reiz eigenen Wert gegenüber der literarischen Vorlage
beanspruchen darf.
Nun hat das
Badische Staatstheater den Kraftakt gewagt, Boitos Faust-Oper auf die Bühne zu
bringen. Die Aufführung in der so intelligenten wie wirkungsvollen Inszenierung
durch Alexander Schulin ist ein glänzendes Plädoyer für die Vorzüge des Werkes
und zeigt das Karlsruher Ensemble auf einem künstlerischen Niveau, das es seit
langer Zeit nicht mehr erreicht hat. Die Regie siedelt das Geschehen in einem
Einheitsbild (von Christoph Sehl) an, in dem zwei riesige Bücherregale in
ständiger Drehbewegung sind und andeuten, dass Fausts Weg eine Kopfgeburt ist –
so wie auch sein unheimlicher Begleiter Mephisto, der schon optisch als
dämonisches Alter Ego des Gelehrten erscheint. Die wechselnde Abhängigkeit der
beiden Protagonisten wird zum Verständnis leitenden Grundzug der Einstudierung,
die im Übrigen durch eine außerordentlich bewegliche Regie der großen Tableaus,
durch mitreißende Theatralität und kluge Schlüssigkeit der Personenführung
überzeugt.
Auch
sängerisch präsentierte sich dieser „Mefistofele“ in vorzüglicher Qualität. Der
fabel¬hafte russische Bassist Konstantin Gorny macht aus der Titelrolle ein
vokales Erlebnis der Sonderklasse, lotet die diabolischen Tiefen der Partie
ebenso aus wie ihre komödiantischen Zwischentöne, dominiert stimmlich und
darstellerisch den Abend und beweist sich mit seiner souveränen Leistung als
spektakuläre Idealbesetzung, die allein schon den Besuch dieser Aufführung
empfiehlt. Neben ihm hat es Mauro Nicoletti als etwas betulicher Faust schwer,
auch wenn sein bisweilen allzu eng klingender Tenor sich immer wieder zu
strahlenden Spitzentönen aufschwingt. Barbara Dobrzanska als Margherita (und
dann auch als Elena) lässt in Noblesse und Ausdruck ihres Soprans kaum Wünsche
offen, auch wenn sie bisweilen zu eher veristischen Stilmitteln greift, um dem
Dirigat von Uwe Sandner, das gerade in ihren großen Szenen zu spannungslos und
akademisch wirkte, zusätzliche Akzente zu geben.
Tatsächlich
war die musikalische Leitung des Abends durch Sandner einer der wenigen,
freilich wichtigen Schwachpunkte dieser Produktion. Die Großartigkeit und
atmosphärische Fülle der Partitur setzte sich freilich auch gegen das gebremste
Feuer ihrer Umsetzung durch, und die fulminanten Szenen des vorzüglich
eingestimmten Chores bestätigten den ausgezeichneten Standard dieser Aufführung,
mit der das Badische Staatstheater an die Glanzleistungen vergangener Zeiten
anknüpfte.
Rainer Wolff
Aufführungen am 9., 19. Juni und 4., 7. Juli
konstantin gorny, bass, kritik | www.konstantingorny.com