Zwingendes Plädoyer für den italienischen Faust

Glänzender „Mefistofele“ von Arrigo Boito am Badischen Staatstheater Karlsruhe
Rhein-Neckar-Zeitung, 02.06.04., Reiner WolffAtto I: Konstantin Gorny (Mefisto), Mauro Nicoletti (Faust)

            Das Werk hat es nicht leicht gehabt. Vor allem die Deutschen nahmen es dem italienischen Komponisten Arrigo Boito übel, dass er sich mit seinem „Mefistofele“ an einem Filetstück ihrer Nationalliteratur „vergriff“, behandelte er doch keinen geringeren Stoff als Goethes „Faust“ – einschließlich übrigens des Zweiten Teils. Da geriet der Tonsetzer, der sich unter anderem auch als Librettist (etwa für Verdis „Otello“), als Autor und engagierter Journalist einen bedeutenden Namen machte, zwischen mehrere Feuer: Seine Landsleute warfen ihm zu große Nähe etwa zum teutonischen Giganten Richard Wagner vor (dessen „Tristan“ er übersetzte), und die Goethe-Patrioten mochten ihm nicht verzeihen, dass er den „Faust“ auf die Opernbühne zerrte.

            Dem strengen Hugo Wolf etwa war der „Mefistofele“, der 1868 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde (und zunächst zum Fiasko wurde), nicht mehr als eine „im Fieber des Größenwahns erzeugte Spottgeburt“, und Verdammungsurteile dieser Art haben die Aufnahme dieser Oper namentlich auf deutschen Bühnen anhaltend erschwert. Dabei bietet die grandiose Partitur des Werkes dem Theater üppige Möglichkeiten zur Entfaltung musikalischer wie szenische Wirkung. Große Chor-Auftritte, schwelgende Kantilenen, diabolische Abgründe und hochdramatische Partien verbinden sich hier zu einer opulenten Ohr- und Augenweide, deren unzweifelhafter Reiz eigenen Wert gegenüber der literarischen Vorlage beanspruchen darf.

            Nun hat das Badische Staatstheater den Kraftakt gewagt, Boitos Faust-Oper auf die Bühne zu bringen. Die Aufführung in der so intelligenten wie wirkungsvollen Inszenierung durch Alexander Schulin ist ein glänzendes Plädoyer für die Vorzüge des Werkes und zeigt das Karlsruher Ensemble auf einem künstlerischen Niveau, das es seit langer Zeit nicht mehr erreicht hat. Die Regie siedelt das Geschehen in einem Einheitsbild (von Christoph Sehl) an, in dem zwei riesige Bücherregale in ständiger Drehbewegung sind und andeuten, dass Fausts Weg eine Kopfgeburt ist – so wie auch sein unheimlicher Begleiter Mephisto, der schon optisch als dämonisches Alter Ego des Gelehrten erscheint. Die wechselnde Abhängigkeit der beiden Protagonisten wird zum Verständnis leitenden Grundzug der Einstudierung, die im Übrigen durch eine außerordentlich bewegliche Regie der großen Tableaus, durch mitreißende Theatralität und kluge Schlüssigkeit der Personenführung überzeugt.

            Auch sängerisch präsentierte sich dieser „Mefistofele“ in vorzüglicher Qualität. Der fabel¬hafte russische Bassist Konstantin Gorny macht aus der Titelrolle ein vokales Erlebnis der Sonderklasse, lotet die diabolischen Tiefen der Partie ebenso aus wie ihre komödiantischen Zwischentöne, dominiert stimmlich und darstellerisch den Abend und beweist sich mit seiner souveränen Leistung als spektakuläre Idealbesetzung, die allein schon den Besuch dieser Aufführung empfiehlt. Neben ihm hat es Mauro Nicoletti als etwas betulicher Faust schwer, auch wenn sein bisweilen allzu eng klingender Tenor sich immer wieder zu strahlenden Spitzentönen aufschwingt. Barbara Dobrzanska als Margherita (und dann auch als Elena) lässt in Noblesse und Ausdruck ihres Soprans kaum Wünsche offen, auch wenn sie bisweilen zu eher veristischen Stilmitteln greift, um dem Dirigat von Uwe Sandner, das gerade in ihren großen Szenen zu spannungslos und akademisch wirkte, zusätzliche Akzente zu geben.

            Tatsächlich war die musikalische Leitung des Abends durch Sandner einer der wenigen, freilich wichtigen Schwachpunkte dieser Produktion. Die Großartigkeit und atmosphärische Fülle der Partitur setzte sich freilich auch gegen das gebremste Feuer ihrer Umsetzung durch, und die fulminanten Szenen des vorzüglich eingestimmten Chores bestätigten den ausgezeichneten Standard dieser Aufführung, mit der das Badische Staatstheater an die Glanzleistungen vergangener Zeiten anknüpfte.
Rainer Wolff

Aufführungen am 9., 19. Juni und 4., 7. Juli

TOP

PrintClose

konstantin gorny, bass, kritik      |      www.konstantingorny.com