„Zwei
Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen."
Fausts Bekenntnis, das er gegenüber Wagner beim Osterspaziergang ablegt, nimmt
Alexander Schulin wörtlich. In seiner Inszenierung von Arrigo. Boitos Oper „Mefistofele",
die am Samstag im Staatstheater Karlsruhe Premiere hatte, ist Mephisto Fausts
Ebenbild, seine zweite Seele.
Faust sitzt
schon beim „Prolog im Himmer in seinem Studierzimmer. Er trägt einen grauen
Anzug und eine dicke, schwarze Hornbrille. Den Raum begrenzt ein riesiges,
leicht geschwungenes Bücherregal, das fast die gesamte Bühnenbreite und -höhe
einnimmt Plötzlich springt unter dem Schreibtisch aus dem Bücherstapel in grauem
Anzug und ebenfalls schwarzer Brille Mephisto hervor - jetzt sind zwei völlig
gleich gekleidete Herren auf der Bühne, sozusagen Faust 1 und Faust 2.
Eigentlich hat nur Mephisto im Prolog etwas zu suchen - er wettet mit Gott um
Faustens Seele. Indem Alexander Schulin sein Regiekonzept, Mephisto als die
dunkle Seite Fausts darzustellen, bereits zu Beginn vorstellt, verklammert er
den Prolog im Himmel eng mit der Handlung der Tragödie. Es geht gleich in medias
res, das Drama ist eröffnet.
Die erste
Begegnung der beiden dominiert Mephisto. Konstantin Gornys mächtiger Bass hat
ungeheure Durchschlagskraft Er beherrscht den Raum mit jeder Geste und jedem
Blick. Er zieht Faust die Ohren lang, spottet und schmeichelt, poltert und
verführt. Virtuos spielt Gorny mit der Doppelung der Figuren - er bewegt sich
spiegelbildlich zu Faust über die Bühne, äfft nach und gibt vor. Beim Wechsel
zum ersten Akt dreht sich das Bücherregal zur Seite und ein zweites
erscheint. Aus dem dunklen Studierzimmer wird ein Platz an der Sonne, der
sich mit Menschen füllt Die beiden Regale werden im Laufe der Inszenierung zu
Gefängnismauern in Gretchens Kerkerszene, zum Gebirge in der Walpurgisnacht und
zur Projektionsfläche für Filmausschnitte: Tanzende Frauen versinnbildlichen das
antike Griechenland im 4. Akt Das einfache Konzept von Bühnenbildner Christoph
Sehl überzeugt bei dieser Inszenierung auf der ganzen Linie. Es schafft Sinn,
Struktur und gelungene Übergänge zwischen den Akten und Szenen. Auch die Kostüme
von Ute Frühling unterstützen die' Einheitlichkeit. Sie verzichten weitgehend
auf grelle Farben - nur die Walpurgisnacht schwelgt in Rot und Orange. Schwarz
und Weiß sind die dominierenden Farbtöne im Stück, Grau bei Mephisto und Faust.
Mauro Nicoletti singt die Faustpartie mit kernigem Schmelz. Manche Übergänge
erscheinen zwar etwas hart und zu wenig geführt; gegen Ende der Oper machen sich
auch leichte Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Aber im Zusammenwirken mit dem
phänomenalen Konstantin Gorny entstehen sängerisch wie darstellerisch große
Momente - im Doppelpack kann ihnen niemand widerstehen. Auch Margarete nicht.
Barbara Dobrzanska verfugt über einen farbenreichen Sopran, mit dem sie die
Seelenzustände Gretchens ausdrucksstark in Klang modelliert. Dramatisch
auflodernd und innig zurücknehmend - zwischen diesen Polen bewegt sich ihre
Interpretation. Die Wandelbarkeit ihrer Stimme zeigt sie gleich nochmals hi der
Rolle der Elena.
Die äußerst
beeindruckende Ensembleleistung reicht bis in die kleineren Partien (Marta/Pantalis:
Sabrina Kögel, Wagner: Hans-Jörg Weinschenk, Nereo: Doru Cepreaga). Auch Chor
(Einstudierung: Carl Robert Helg) und Orchester sichern stets das hohe
musikalische Niveau der Aufführung. Uwe Sandner lässtdie Staatskapelle die
Partitur dramatisieren. Besonders eindrucksvoll geraten die Schlüsse, die
Sandner nicht sanft ausklingen, sondern scharf abreißen lässt Die harten
Schnitte treiben das Geschehen immer wieder an und sorgen für Dynamik. Das
einheitsstiftende Regiekonzept Alexander Schulins geht auf. Die entscheidenden
Parameter werden im Prolog konstituiert und ziehen sich bis zum Epilog durch.
Nur die
Walpurgisnachtszene entwickelt keine Stringenz. Da krabbeln die Choristen in
Abendgarderobe über die Bühne, lecken sich ein bisschen um den Mund und starten
auch ein oder zwei Kopulationsversuche. Eine Dame hebt kurz ihren Rock hoch und
zeigt ihre Strapse - wie dämonisch. Es gibt eine Walpurgisnacht light, die eher
an das Partyspielchen einer Hochzeitsgesellschaft erinnert als an einen
Höllentanz. Aber der Teufel ist ja auch gar nicht so schlimm. Beim Auftreten der
Engel am Ende liegt er nämlich im Arm von Faust und wird getröstet.
TERMINE
— Weitere Aufführungen: heute und am 9. und 19. Juni.
konstantin gorny, bass, kritik | www.konstantingorny.com