Bücherregale werden Gefängnismauern

Faust und Mephisto im Doppelpack: Alexander Schulin inszeniert Arrigo Boitos Oper „Mef istofele" im Staatstheater Karlsruhe

Badische Zeitung Freiburg, 02.06.04., Georg RudigerAtto I: Konstantin Gorny (Mefisto), Mauro Nicoletti (Faust)

            „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen." Fausts Bekenntnis, das er gegenüber Wagner beim Osterspaziergang ablegt, nimmt Alexander Schulin wörtlich. In seiner Inszenierung von Arrigo. Boitos Oper „Mefistofele", die am Samstag im Staatstheater Karlsruhe Premiere hatte, ist Mephisto Fausts Ebenbild, seine zweite Seele.
           
            Faust sitzt schon beim „Prolog im Himmer in seinem Studierzimmer. Er trägt einen grauen Anzug und eine dicke, schwarze Hornbrille. Den Raum begrenzt ein riesiges, leicht geschwungenes Bücherregal, das fast die gesamte Bühnenbreite und -höhe einnimmt Plötzlich springt unter dem Schreibtisch aus dem Bücherstapel in grauem Anzug und ebenfalls schwarzer Brille Mephisto hervor - jetzt sind zwei völlig gleich gekleidete Herren auf der Bühne, sozusagen Faust 1 und Faust 2. Eigentlich hat nur Mephisto im Prolog etwas zu suchen - er wettet mit Gott um Faustens Seele. Indem Alexander Schulin sein Regiekonzept, Mephisto als die dunkle Seite Fausts darzustellen, bereits zu Beginn vorstellt, verklammert er den Prolog im Himmel eng mit der Handlung der Tragödie. Es geht gleich in medias res, das Drama ist eröffnet.

            Die erste Begegnung der beiden dominiert Mephisto. Konstantin Gornys mächtiger Bass hat ungeheure Durchschlagskraft Er beherrscht den Raum mit jeder Geste und jedem Blick. Er zieht Faust die Ohren lang, spottet und schmeichelt, poltert und verführt. Virtuos spielt Gorny mit der Doppelung der Figuren - er bewegt sich spiegelbildlich zu Faust über die Bühne, äfft nach und gibt vor. Beim Wechsel zum ersten Akt  dreht sich das Bücherregal zur Seite und ein zweites erscheint. Aus dem dunklen  Studierzimmer wird ein Platz an der Sonne, der sich mit Menschen füllt Die beiden Regale werden im Laufe der Inszenierung zu Gefängnismauern in Gretchens Kerkerszene, zum Gebirge in der Walpurgisnacht und zur Projektionsfläche für Filmausschnitte: Tanzende Frauen versinnbildlichen das antike Griechenland im 4. Akt Das einfache Konzept von Bühnenbildner Christoph Sehl überzeugt bei dieser Inszenierung auf der ganzen Linie. Es schafft Sinn, Struktur und gelungene Übergänge zwischen den Akten und Szenen. Auch die Kostüme von Ute Frühling unterstützen die' Einheitlichkeit. Sie verzichten weitgehend auf grelle Farben - nur die Walpurgisnacht schwelgt in Rot und Orange. Schwarz und Weiß sind die dominierenden Farbtöne im Stück, Grau bei Mephisto und Faust. Mauro Nicoletti singt die Faustpartie mit kernigem Schmelz. Manche Übergänge erscheinen zwar etwas hart und zu wenig geführt; gegen Ende der Oper machen sich auch leichte Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Aber im Zusammenwirken mit dem phänomenalen Konstantin Gorny entstehen sängerisch wie darstellerisch große Momente - im Doppelpack kann ihnen niemand widerstehen. Auch Margarete nicht. Barbara Dobrzanska verfugt über einen farbenreichen Sopran, mit dem sie die Seelenzustände Gretchens ausdrucksstark in Klang modelliert. Dramatisch auflodernd und innig zurücknehmend - zwischen diesen Polen bewegt sich ihre Interpretation. Die Wandelbarkeit ihrer Stimme zeigt sie gleich nochmals hi der Rolle der Elena.

            Die äußerst beeindruckende Ensembleleistung reicht bis in die kleineren Partien (Marta/Pantalis: Sabrina Kögel, Wagner: Hans-Jörg Weinschenk, Nereo: Doru Cepreaga). Auch Chor (Einstudierung: Carl Robert Helg) und Orchester sichern stets das hohe musikalische Niveau der Aufführung. Uwe Sandner lässtdie Staatskapelle die Partitur dramatisieren. Besonders eindrucksvoll geraten die Schlüsse, die Sandner nicht sanft ausklingen, sondern scharf abreißen lässt Die harten Schnitte treiben das Geschehen immer wieder an und sorgen für Dynamik. Das einheitsstiftende Regiekonzept Alexander Schulins geht auf. Die entscheidenden Parameter werden im Prolog konstituiert und ziehen sich bis zum Epilog durch.

            Nur die Walpurgisnachtszene entwickelt keine Stringenz. Da krabbeln die Choristen in Abendgarderobe über die Bühne, lecken sich ein bisschen um den Mund und starten auch ein oder zwei Kopulationsversuche. Eine Dame hebt kurz ihren Rock hoch und zeigt ihre Strapse - wie dämonisch. Es gibt eine Walpurgisnacht light, die eher an das Partyspielchen einer Hochzeitsgesellschaft erinnert als an einen Höllentanz. Aber der Teufel ist ja auch gar nicht so schlimm. Beim Auftreten der Engel am Ende liegt er nämlich im Arm von Faust und wird getröstet.


 

TERMINE
— Weitere Aufführungen: heute und am 9. und 19. Juni.

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