Am Ende tröstet Faust den armen Teufel

Arrigo Boitos Oper „Mefistofele" am Badischen Staatstheater von Alexander Schulin inszeniert

BNN 01.06.2004, Birgitta SchmidEpilog: Konstantin Gorny (Mefisto), Mauro Nicoletti (Faust), Staatsopernchor

    Das Böse ist interessanter als das Gute, doch am Ende triumphiert das Licftt über die Finsternis - das ist das Prinzip der Oper „Mefistofele" von Arrigo Boito. Der Italiener betonte, ganz in der romanischen Tradition, das Dämonische des Stoffes und machte den Teufel zur Titelfigur seiner Faust-Oper, ansonsten hielt er sich an die Vorlage der zwei Goethe-Dra­men. Nachdem er mit einer ersten fünfstündi­gen Version fürchterlich Schiffbruch erlitten hatte, konzentrierte er sich in der revidierten Fassung auf die Gretchen-Tragödie und die klassische Walpurgisnacht samt der Helena-Szene, hielt aber die größere Dimension, den Kampf zwischen Gut und Böse, den Dualismus von Glauben und Wissen, von Genuss und Be­scheidung, durch den eindrucksvollen Prolog und den erschütternden Epilog im Werk. Diese zweite 1875 mit Erfolg in Bologna aufgeführte Fassung wird heute noch gespielt - vornehm­lich in Italien, in Deutschland taucht das Werk selten in den Spielplänen auf.

    Das ist schade, handelt es sich doch bei Arrigo Boitos „Mefistofele" um ein in jeder Hinsicht gelungenes Stück Musiktheater. Boito, Opernliebhabern als herausragender Librettist einiger später Verdi-Opern bekannt, schrieb sich den Text selbst. Dabei ging er so geschickt vor, dass trotz äußerster Verdichtung des Stof­fes die Essenz von Goethes Dramen erhalten blieb. Musikalisch wandelt er, freilich in italie­nischen Schuhen, auf den Spuren Richard Wagners. Die durchkomponierte Szene war sein Ideal, doch wie beim frühen Wagner sind darin Arien, Duette und Ensembles eingebettet; dennoch verschmelzen dramatisches Ge­schehen und Musik zu einer Einheit. Boito beherrscht eine breite Klangpalette zwischen himmlischem Wohllaut und scharf konturierter Charakterisierung, Harmonie und Instrumentation verraten den Einfluss von Wagner und Meyerbeer, weisen aber den Weg in die Zukunft der italienischen Oper.

    Alexander Schulin, der vor knapp zwei Jah­ren im Badischen Staatstheater Karlsruhe be­reits mit seiner „Falstaff" -Interpretation überzeugt hatte, interpretierte Mefistofele und Faust als die beiden Seelen in einer Brust, als den Dualismus, der in jedem Menschen angelegt ist. Dieses Konzept trägt über drei Stunden pralles, sinnliches Welttheater: Am Ende tröstet Faust den armen Teufel, der im Kampf um die Seelen so schmählich unterliegt. Christoph Sehl schuf ein wandlungsfähiges Bühnenbild aus zwei beweglichen Bücherwänden, einige wenige Möbel deuten die Szene an: Schreibtisch und Stuhl in Faustens Studierstube, zwei Bettgestelle, die in den Margherita-Szenen als Lustlager und Gefängniswände dienen, aufgetürmte Sessel auf dem Brocken.

    Dieses sparsame Setting füllt Alexander Schulin mit hoch spannendem Regietheater. Seine Personenführung überzeugt in "intimen Szenen ebenso wie bei den sorgfältig choreografierten Auftritten des Chores, bei aller Drastik wird seine Interpretation nie peinlich, mehr noch, gelegentliche ironische Brechungen relativieren das Geschehen auf vergnügliche Weise. Dem Badischen Staatsopernchor und dem Extrachor, einstudiert von Carl Robert Helg, machten wohl die Hexenchöre und der Ostersonntagsspaziergang besonderen Spaß - Bühne und Klang gerieten optisch und akustisch zur Einheit. Ebenso überzeugten die Chöre der himmlischen Heerscharen und der zugespielte Kinderchor. Premierenpech, dass ausgerechnet in der Kerkerszene das erlösende „Gerettet" fehlte.

    Konstantin Gorny in der Titelrolle und Mauro Nicoletti als Faust ergänzten sich auf der Bühne und stirnmlich ideal. Beide sind mitreißende Sängerdarsteller, die keine Wünsche offen lassen. Hervorragend auch Barbara Dobrzanska als Margherita und Elena - Leidenschaft und Verzweiflung liegen hier dicht nebeneinander, alle Emotionen finden wohltönenden Ausdruck. Klangschön und anrührend gestalteten Dobrzanska und Nicoletti die Piano- und Pianissimo-Schattierungen des Duetts der Kerkerszene.

    Nicht nur die Darsteller der Hauptrollen agierten und sangen sehr differenziert und flexibel, gleiches gilt auch für Sabrina Kögel als Marta und Pantalis, Hans-Jörg Weinschenk in der Rolle des Studenten Wagner und Doru Cepreaga als Nereo. Die musikalische Leitung lag in den Händen von Uwe Sandner. Ertönte das Vorspiel noch matt und seltsam spannungslos, so steigerte sich die Badische Staatskapelle zum gleichwertigen Partner der Bühne, setzte dramatische Akzente und ließ die üppigen, raffiniert eingesetzten Orchesterfarben irisieren. Ute Frühlings Kostüme, unaufdringlich Charaktere und Stimmungen zeichnend, unterstrichen die atmosphärische Geschlosßenheit des Opern abends. Unter den lang anhaltenden Applaus und den Jubel im Großen Haus mischten sich vereinzelte Buhrufe.

 

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