Das Böse ist interessanter als das Gute, doch am Ende
triumphiert das Licftt über die Finsternis - das ist das Prinzip der Oper „Mefistofele"
von Arrigo Boito. Der Italiener betonte, ganz in der romanischen Tradition, das
Dämonische des Stoffes und machte den Teufel zur Titelfigur seiner Faust-Oper,
ansonsten hielt er sich an die Vorlage der zwei Goethe-Dramen. Nachdem er mit
einer ersten fünfstündigen Version fürchterlich Schiffbruch erlitten hatte,
konzentrierte er sich in der revidierten Fassung auf die Gretchen-Tragödie und
die klassische Walpurgisnacht samt der Helena-Szene, hielt aber die größere
Dimension, den Kampf zwischen Gut und Böse, den Dualismus von Glauben und
Wissen, von Genuss und Bescheidung, durch den eindrucksvollen Prolog und den
erschütternden Epilog im Werk. Diese zweite 1875 mit Erfolg in Bologna
aufgeführte Fassung wird heute noch gespielt - vornehmlich in Italien, in
Deutschland taucht das Werk selten in den Spielplänen auf.
Das ist schade, handelt es sich doch bei Arrigo Boitos „Mefistofele"
um ein in jeder Hinsicht gelungenes Stück Musiktheater. Boito, Opernliebhabern
als herausragender Librettist einiger später Verdi-Opern bekannt, schrieb sich
den Text selbst. Dabei ging er so geschickt vor, dass trotz äußerster
Verdichtung des Stoffes die Essenz von Goethes Dramen erhalten blieb.
Musikalisch wandelt er, freilich in italienischen Schuhen, auf den Spuren
Richard Wagners. Die durchkomponierte Szene war sein Ideal, doch wie beim frühen
Wagner sind darin Arien, Duette und Ensembles eingebettet; dennoch verschmelzen
dramatisches Geschehen und Musik zu einer Einheit. Boito beherrscht eine breite
Klangpalette zwischen himmlischem Wohllaut und scharf konturierter
Charakterisierung, Harmonie und Instrumentation verraten den Einfluss von Wagner
und Meyerbeer, weisen aber den Weg in die Zukunft der italienischen Oper.
Alexander Schulin, der vor knapp zwei Jahren im Badischen
Staatstheater Karlsruhe bereits mit seiner „Falstaff" -Interpretation überzeugt
hatte, interpretierte Mefistofele und Faust als die beiden Seelen in einer
Brust, als den Dualismus, der in jedem Menschen angelegt ist. Dieses Konzept
trägt über drei Stunden pralles, sinnliches Welttheater: Am Ende tröstet Faust
den armen Teufel, der im Kampf um die Seelen so schmählich unterliegt. Christoph
Sehl schuf ein wandlungsfähiges Bühnenbild aus zwei beweglichen Bücherwänden,
einige wenige Möbel deuten die Szene an: Schreibtisch und Stuhl in Faustens
Studierstube, zwei Bettgestelle, die in den Margherita-Szenen als Lustlager und
Gefängniswände dienen, aufgetürmte Sessel auf dem Brocken.
Dieses sparsame Setting füllt Alexander Schulin mit hoch
spannendem Regietheater. Seine Personenführung überzeugt in "intimen Szenen
ebenso wie bei den sorgfältig choreografierten Auftritten des Chores, bei aller
Drastik wird seine Interpretation nie peinlich, mehr noch, gelegentliche
ironische Brechungen relativieren das Geschehen auf vergnügliche Weise. Dem
Badischen Staatsopernchor und dem Extrachor, einstudiert von Carl Robert Helg,
machten wohl die Hexenchöre und der Ostersonntagsspaziergang besonderen Spaß -
Bühne und Klang gerieten optisch und akustisch zur Einheit. Ebenso überzeugten
die Chöre der himmlischen Heerscharen und der zugespielte Kinderchor.
Premierenpech, dass ausgerechnet in der Kerkerszene das erlösende „Gerettet"
fehlte.
Konstantin Gorny in der Titelrolle und Mauro Nicoletti als
Faust ergänzten sich auf der Bühne und stirnmlich ideal. Beide sind mitreißende
Sängerdarsteller, die keine Wünsche offen lassen. Hervorragend auch Barbara
Dobrzanska als Margherita und Elena - Leidenschaft und Verzweiflung liegen hier
dicht nebeneinander, alle Emotionen finden wohltönenden Ausdruck. Klangschön und
anrührend gestalteten Dobrzanska und Nicoletti die Piano- und
Pianissimo-Schattierungen des Duetts der Kerkerszene.
Nicht nur die Darsteller der Hauptrollen agierten und sangen
sehr differenziert und flexibel, gleiches gilt auch für Sabrina Kögel als Marta
und Pantalis, Hans-Jörg Weinschenk in der Rolle des Studenten Wagner und Doru
Cepreaga als Nereo. Die musikalische Leitung lag in den Händen von Uwe Sandner.
Ertönte das Vorspiel noch matt und seltsam spannungslos, so steigerte sich die
Badische Staatskapelle zum gleichwertigen Partner der Bühne, setzte dramatische
Akzente und ließ die üppigen, raffiniert eingesetzten Orchesterfarben irisieren.
Ute Frühlings Kostüme, unaufdringlich Charaktere und Stimmungen zeichnend,
unterstrichen die atmosphärische Geschlosßenheit des Opern abends. Unter den
lang anhaltenden Applaus und den Jubel im Großen Haus mischten sich vereinzelte
Buhrufe.
konstantin gorny, bass, kritik | www.konstantingorny.com