Der Teufel ist Fausts Alter Ego

In Karlsruhe wurde für Boitos selten zu hörende Oper "Mefistofele" ein nachdrückliches Plädoyer eingelegt
PFORZHEIMER ZEITUNG: 01.06.2004, Nike Luber Atto II: Konstantin Gorny (Mefisto), Mauro Nicoletti (Faust)

KARLSRUHE.Durch die Bücherwand führt nicht etwa der Weg zur Erkenntnis, sondern der zur Walpurgisnacht. In der Karlsruher Inszenierung der selten gespielten Oper "Mefistofele" von Arrigo Boito steht der Teufel im Mittelpunkt und legt eine satanische Ferse auf das Parkett, den Schreibtisch und die Bücherwand. Die gesammelten, farblich aufeinander abgestimmten Bände, die Bühnenbildner Christoph Sehl in zwei halbrunden, riesigen Bücherwänden aufgetürmt hat, halten den alternden, frustrierten Gelehrten Faust nicht davon ab, der Nachtseite seiner Seele freien Lauf zu lassen.

Schlüssige Bilder

Mephisto oder auf italienisch Mefistofele ist nämlich keine Ausgeburt der Hölle, sondern Fausts Alter Ego. Regisseur Alexander Schulin hat diese Deutung konsequent in schlüssige Bilder und eine spannende Personenführung umgesetzt. Kaum zerknüllt der vergeblich nach ultimativer Weisheit suchende Faust frustriert die leeren Seiten der Bücher auf seinem Schreibtisch, während der Badische Staatsopernchor im Prolog himmlische Klänge anstimmt, schon bricht sein teuflisches Alter Ego aus den Bücherstapeln hervor und übernimmt die Führung. In genau aufeinander abgestimmten synchronen Gesten agieren Faust und Mefistofele, Dioskuren im grauen Dreireiher.

Sie treffen sich nach dem Prolog im ersten Akt wieder. Boito, weniger als Komponist denn als Lieferant der Operntexte für den Kollegen Verdi bekannt, hat Goethes "Faust" durchaus ernst genommen und kaum eine Schlüsselszene des ersten Teils ausgelassen. Schulin wiederum zeigt diese Szenen auf seine Weise, unter tatkräftiger Mitwirkung eines hervorragend vorbereiteten (Carl Robert Helg) und spielfreudigen Chores. Da wandert der weltfremde Gelehrte im Osterspaziergang wie ein Geist durch die Volksmassen, durch sich prügelnde Studenten, flirtende Mädchen, biedere Paare im Stil der dreißiger Jahre (Kostüme: Ute Frühling). In gekonnter Choreografie umkreisen gleich vier graue Mephistos den grauen Faust, der, zurück in der Bücherwand, den berühmten Pakt eingeht. Das bringt ihm zunächst eine effektvolle Himmelfahrt mit dem Bühnennebelwolken ausstoßenden Schreibtisch ein.

Die reichlich späte, erste Liebeserfahrung mit Margherita lässt Schulin bar jeder Romantik in Krankenhausbetten als flotten Vierer mit Marta und Mefistofele stattfinden, im Takt des Quartetts. Auf dem Brocken warten ein kleiner Berg von Thronsesseln und der auf altmodisch mondän herausgeputzte Chor auf die Walpurgisnacht. Weibliche und Travestie-Hexen robben auf allen vieren über die Bühne robben und singen dazu auch noch blendend. Doch Faust zieht es zurück zu Margherita, die mittlerweile im Kerker aus Bettgestellen sitzt und nicht vom Teufel gerettet werden will. Fausts Verzweiflung hält nicht lange, trifft er doch die schöne Helena, die passenderweise mit derselben Sängerin besetzt ist wie Margherita. Auf Helenas fulminanten Auftritt in Schwarz, um Trojas Fall zu beklagen, folgt das Lob der platonischen Liebe. Mefistofele ist mittlerweile sichtlich genervt, er will endlich Fausts Seele haben.

Vertauschte Rollen

Im Epilog sind die Rollen vertauscht, der Teufel brütet am Schreibtisch, der erblindete Faust macht sich langsam zum Sterben bereit. Doch, gemein wie das Gute manchmal sein kann, im letzten Moment greift der weiß gewandete Chor ein, und Faust muss sein teuflisches Alter Ego tröstend in den Arm nehmen, während der Chor in mitreißendem Fortissimo wieder bei den Sphärenklängen des Prologs angekommen ist. Hier schließt sich der Kreis. Dass "Mefistofele" beim Premierenpublikum so gut ankam, liegt nicht nur an der durchdachten Inszenierung und der ästhetischen Ausstattung. Das Badische Staatstheater hat in Konstantin Gorny einen Meister der Darstellung diabolischer Charaktere. Sein Mephisto ist in jeder Hinsicht präsent, und dabei oft sympathisch, darin nahe an Goethes Original. Gorny erfüllt diese Partie mit Leben, er lockt und droht, schmeichelt und giftet. Allein seine nihilistische Arie im ersten Akt ist ein Glanzstück ausdrucksvollen Gesangs.

Wunderbarer Sopran

Mauro Nicoletti verkörpert überzeugend den alternden, zweifelnden, weltfremden Faust. Bei Margherita den jugendlichen Liebhaber zu geben, liegt ihm weniger. Faust ist keine Bravourpartie, und so singt Nicoletti rollendeckend, ohne seine Stimme über Gebühr anzustrengen. Hinreißend beseelt, mit glühender Leidenschaft, mühelosen Höhenflügen, runder Mittellage und tragender Tiefe, singt Barbara Dobrzanska eine ergreifende Margherita und eine in der Troja-Klage grandiose Helena. Ihr zur Seite, in einer Doppelrolle als Marta und Pantalis, die zuverlässige Sabrina Kögel. Hans-Jörg Weinschenk komplettiert die kompetente Solistenriege.

Boito wurde allzu viel Wagner-Anteil in seiner Komposition vorgeworfen, dabei ist sie in ihrem Ideen- und Farbenreichtum eher bei Berlioz angesiedelt. Ein wahres Fest für die Badische Staatskapelle, zu der jede Stimmgruppe beitrug. An Klangfarben und zündenden Aufschwüngen fehlte es der Wiedergabe unter der Leitung von Uwe Sandner nicht, aber die lyrischen, intimen Momente in der Musik hätten mehr Feinschliff vertragen.

 

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