Nach dem Tod des Komponisten geriet Boitos Oper "Mefistofele", die sich
mit dem Stoff von Goethes Faust I und II befasst, beinahe in Vergessenheit. Ab
1970 gelangte das Werk wieder auf die Spielpläne internationaler Opernhäuser.
Neuinszenierungen in Frankfurt und Karlsruhe (2003/2004) beziehungsweise
Regensburg und Amsterdam (2004/2005) zeigen, dass es sich einer zunehmenden
Beliebtheit erfreut. Trotz der Herkunft des Komponisten (1842 in Padua geboren,
1918 in Mailand gestorben) ist er nicht der italienischen Operntradition
verpflichtet, sondern steht eher in musikalischen Beziehungen zu Berlioz und
Wagner.
Die Karlsruher Inszenierung (Alexander Schulin) bietet einen ironischen Blick
auf das Geschehen. Sie hat zwar weder einen außergewöhnlichen Zugang zu dem
Fauststoff noch ungesehene Einfälle, ist aber mit Witz und Ironie in ihrer
Gesamtheit eine in sich schlüssige und durchaus empfehlenswerte Arbeit.
Angesiedelt in staubig spießigem Milieu, kontrastiert die gewohnte Umgebung
Fausts mit dem dekadenten Glanz der Weimarer Republik, welchen Mefistofele auf
dem Brocken vorführt.
Als Hauptelemente der Bühne (Christoph Sehl) dienen zwei große halbrunde
Bücherregale, die durch verschiedene Möbelstücke oder einer Videosequenz ergänzt
werden. Auch die Kostüme (Ute Frühling) sind schlicht. In dieser Aufführung
gehen die beiden Protagonisten mit ihrem Pakt nicht nur ein Arbeitsverhältnis
ein, sondern es bildet sich zwischen ihnen eine freundschaftliche Verbindung,
die selbst mit der Erlösung Fausts nicht aufgegeben wird. Aufgrund einer
Spiegelung von Faust und Mefistofele als Doppelgänger zeigt sich schon früh eine
Wesensgemeinsamkeit, die bereits im Prolog als Einheit, aber auch als
gegenseitig beherrschend und vernichtend gezeigt wird.
Sowohl Konstantin Gorny (Mefistofele) als auch Mauro Nicoletti (Faust)
überzeugen mit ihrer hervorragenden schauspielerischen Leistung und ihrer
musikalischen Interpretation. Wünschte man sich für den alten Faust eventuell
eine kräftiger gefärbte Stimme, so passt sie gut zu dem Draufgängertum auf den
gemeinsamen Reisen. Tünde Franko (Margherita / Helena) und Sabrina Kögel (Marta
/ Pantalis) passen ebenfalls in dieses ausgewählte Ensemble. Margheritas Flehen
um Erlösung (Ende des 3. Aktes) ist neben dem Finale der am meisten ergreifende
Moment der Oper. Mit dem gut vorbereiteten Badischen Staatsopernchor, dem
Kinderchor und einem Extrachor (Einstudierung: Carl Robert Helg) wird versucht,
der starken Rolle des Chors in dieser Oper gerecht zu werden. Nicht nur
musikalisch mit ihrer Stimmgewalt, sondern auch von der dramaturgischen
Entwicklung her sind sie maßgeblich an dem Geschehen beteiligt.
Als Dirigent der Badischen Staatskapelle betonte Uwe Sandner vornehmlich die
wuchtigen Passagen des Werkes. Leider wurde der Kontrast zu den zurückhaltenden
Stellen nicht immer deutlich genug herausgearbeitet. Das Orchester bot,
abgesehen von einzelnen Ausfällen im Blech, eine mehr als solide Darstellung.
Ein guter Einfall ist die farbliche Abhebung der Originalzitate Goethes in den
Übertiteln. Dies ermöglichte es, die von Boito vorgenommene Bearbeitung des
Textes besser nachzuvollziehen. (mf)
konstantin gorny, bass, kritik | www.konstantingorny.com