Teufel, alter Ego

Umjubelte Premiere von Boitos „Mefistofele" am Badischen StaatstheaterAtto I: Konstantin Gorny (Mefisto), Mauro Nicoletti (Faust)

DIE RHEINPFALZ, 01.06.04., GABOR HALASZ

    Mit seiner jüngsten Produktion hat das Badische Staatstheater für ein faszinierend perspektivenreiches Werk eine Lanze gebrochen, das auch außerhalb Italiens mehr Aufmerksamkeit verdiente als ihm zuteil wird. Arrigo Boitos „Mefistofele" - dem Stück, das in Karlsruhe begeistert umjubelte Premiere hatte - steht mit Sicherheit ein vornehmer Platz unter den vielfach vorhandenen Faust-Vertonungen zu.

    Dies schon auf Grund der intellektuellen Dichte von Boitos Auseinandersetzung mit seiner vielschichtigen Vorlage. Das geistvolle Libretto, das der Komponist - auch Literat von hohem Rang und kongenialer Textautor der späten Verdi-Opern - selbst verfasst hat, ist ein Meisterwerk für sich. Unter anderem versucht „Mefistofele" Goethes Faust-Thematik in ihrer vollen Breite zu erfassen, dabei auch den zweiten Teil mit einbeziehend, den etwa Gounods Version, die wohl bekannteste Faust-Oper, gänzlich außer Acht lässt. Genau genommen hat man es bei „Mefistofele" mit der ersten Literaturoper der Gattungsgeschichte zu tun, der mit ihrem schillernden Wechselspiel von Welttheater, kosmischer Wette, Teufelspakt, Ideendrama, Volksstück und Kulissenzauber überwältigendes Bühnenpotential innewohnt.

    Dem hält die musikalische Substanz des Stückes mit Sicherheit stand. Dass „Mefistofele" zu seiner Entstehungszeit im mittleren bis späten 19. Jahrhundert als revolutionäre neue Opernästhetik empfunden wurde, lässt sich heute nicht ohne weiteres nachvollziehen. Auf jeden Fall führte Boito hier italienische und Wagner'sche Elemente sowie Strukturen der französischen grand opera Meyerbeer'scher Provenienz zusammen und vollzog damit eine Art europäische Opernsynthese.

    Verblüffend originell mutet vor allem die musikalische Sphäre der Titelgestalt an. Schlangenhart gleitende Linien der tiefen Streicher, bizarre Konstellationen, grelle Farbtupfer, zuweilen deftige Ironie und1 wilde Aufschreie bestimmen ein höchst unkonventionelles schneidend scharfes, wahrhaft „teuflisches" Tonidiom, das nebenbei auch die grotesken und skurrilen Züge der Figur mit Nachdruck unterstreicht. Den Gegenpol bilden Margarethes und Fausts ariose („italienische") Lyrismen, die schwärmerischpoetische Aura der Faust-Helena-Szene in der Klassischen Walpurgisnacht - und zwingenden Eindruck hinterlassen die monumentalen Chortableaux, besonders im Prolog im Himmel.

    Die Leerläufe, Trivialitäten und ausgeklügelten Effekte, die es in der „Mefistofele"-Partitur - zugegeben - ebenfalls gibt, lohnt es sich daher allemal in Kauf zu nehmen. In Karlsruhe sorgt Dirigent Uwe Sandner - den großen Apparat mit sicherer Hand koordinierend - für ausgewogene musikalische Wiedergabe.

    Regisseur Alexander Schulins interpretatorische Grundidee ist, dass Faust und Mefistofele zwei Facetten derselben Person sind, dass Mefistofele Fausts düsterer Schatten, seine Nachtseite ist, die dieser akzeptieren muss, um wirklich wissend zu werden. Eine kluge, einleuchtende Idee, vermittelt durch sinnfällige szenische Signale wie etwa die gleiche Gegenwartskostümierung und parallele Bewegungsabläufe der beiden Gestalten - oder Mefistofeles' Geburt gleichsam aus dem sich in Krämpfen windenden Faust: eine Einstellung allerdings, die der unfreiwilligen Komik nicht entbehrt.

    Die Crux der Inszenierung bilden dagegen zahlreiche Leerläufe mit viel Rampensingen und die Eintönigkeit von Christoph Sehls grauer Einheitsszenerie. Letztere zwang die gesamte Handlung in Fausts Studierzimmer, differenzierte sie räumlich und atmosphärisch überhaupt nicht.

    Konstantin Gorny war ein virtuoser, die Szene souverän beherrschender Mefistofele mit tausend Gesichtern und einer prachtvoll sonoren Bassstimme. Durch kehliges Pressen und harte Übergänge brachte Mauro Nicoletti seinen angenehm hell gefärbten Tenor von einigem Glanz oft um dessen Wirkung. Barbara Dobrzanska sang mit bedingungsloser Hingabe und anspre-. chender Sopransubstanz die Partien der Margarethe und der Helena.
 

TERMINE
— Weitere Aufführungen: heute und am 9. und 79. Juni.

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