Gefangen in Trieben und Schuldkomplexen
Tannenbaum interpretiert den Womanizer Don Giovanni in
Karlsruhe als psychisch Kranken / Ein musikalischer Genuss
VON NIKE LUBER , Badisches
Tagblatt 09.07.2007
Hannelore,
Elvira, Jane und Sabiha - sie alle und viele andere wurden Opfer von Don
Giovannis Sammelleidenschaft, wurden in Leporellos Register aufgenommen. Ihre
Namen werden auf die schmucklosen Wände des Bühnenbilds (Peter Werner)
projiziert, und schon damit macht Regisseur Robert Tannenbaum klar, dass er Don
Giovanni keineswegs romantisch verklärt als letzten Repräsentanten einer
untergehenden Epoche. Für ihn ist der Womanizer einfach nur ein psychisch
kranker Triebtäter, der Frauen sammelt wie andere Briefmarken. Die Drehbühne
kreist im Badischen Staatstheater Karlsruhe, so wie sich die Figuren in. Mozarts
Oper im Kreise drehen, gefangen in ihren Trieben, Gefühlen und Schuldkomplexen.
Die ständigen Verwechslungen sprechen für die Verwirrung der Seelen.
Anders lässt sich nicht erklären, warum Donna Anna ihren
Verlobten mit Don Giovanni verwechselt, und das nicht etwa im nächtlichen Dunkel
ihres Schlafzimmers, sondern in einem Priesterseminar. Wieso der Regisseur Don
Ottavio zum Geistlichen umfunktioniert bleibt sein Geheimnis. Donna Anna
jedenfalls, emotional ausgehungert durch die Gefühlskälte ihres Vaters, stürzt
sich auf den Mann, den sie für ihren Verlobten hält. Doch die leidenschaftlichen
Küsse werden vom Vater entdeckt, der kurz darauf durch Don Giovannis Hand
stirbt. Schon hat Donna Anna ihren Schuldkomplex weg, ihre Kleider werden immer
schwärzer, ihre Stimmung auch. Gegen Ende, als Don Ottavio es wagt, sie an die
versprochene Hochzeit zu erinnern, wiederholt sich die Szene. Das weckt
Verständnis für Donna Annas ständiges Zaudern, sie hat ihr Trauma nicht
verarbeitet.
Don Giovanni, in Karlsruhe ein Mann der vielen Gesichter, ist
inzwischen längst eine Frau weiter. Er unternimmt einen Ausflug ins Prekariat,
ködert die Leute und besonders Zerlina mit dem Glanz seines Reichtums. Zerlina
liebäugelt auch ungeniert mit dem Foto des Schlosses. Aber ganz wohl ist ihr bei
dem Flirt nicht, schnell ist sie bereit, auf Donna Elviras Warnungen zu hören.
Tannenbaum setzt gekonnt auf die burlesken Elemente der Oper, Zerlinas Umgarnung
ihres stinksauren Masetto ist eine herrlich überdrehte Szene, der eitle Giovanni
lässt sich ins Korsett schnüren, Elvira wird ihren widerstreitenden Gefühlen nur
mit Hilfe einer riesigen Flasche Champagner Herr.
Mozarts Held wechselt Kleider wie Chamäleon
Ute" Frühling unterstreicht mit ihren Kostümen die
unterschiedlichen Charaktere. Anna und Ottavio, das ernste Paar, in Schwarz.
Zerlina läuft in ihrem Brautkleid wie ein Baisertörtchen herum, Masetto hat sich
einen apricotfarbenen Anzug gegönnt. Elvira geht gern in Schockfarben mit
elegantem Schnitt und gibt sich dem Frustfraß hin. Leporellos Chauffeursuniform
würde sich auch in „Figaros Hochzeit" gut machen. Nur Don Giovanni wechselt wie
ein Chamäleon sein Aussehen, fürs Prekariat wirft er sich in das Outfit eines
Gangsta-Rap-Stars. Doch der Komtur, schon etwas angewest, holt ihn aus der
coolen Pose in die Hölle. Die glücklichen Hinterbliebenen feiern den.
Leichenschmaus am Frühstückstisch. Zwar folgt Tannenbaums Inszenierung keiner
erkennbaren inneren Logik, aber die Charakterzeichnung passt, der
Unterhaltungswert ist beträchtlich. Das Ensemble brilliert musikalisch ebenso
wie schauspielerisch. Ina Schlingensiepen singt Donna Annas Seelenqualen
herzzerreißend schön. Mit wunderbar flexibler Stimmführung, Klangschönheit und
feinen Nuancen erweist sich Bernhard Berchtold als Don Ottavio einmal mehr als
begnadeter Mozart-Sänger. Christina Niessen verleiht dem Furor der betrogenen
Donna Elvira vokale Strahlkraft. Diana Tomsche bezaubert nicht nur ihren Masetto
mit Spielwitz und glockenhellem Sopran. Mika Kares ist als Masetto ihr
kongenialer Bühnenpartner. Stefan Stoll gibt Leporello mit kernigem Bass und
lebensechtem Profil. Aus den zwei Kurzauftritten des Komturs macht Ulrich
Schneider prägnante Vignetten. Alle zusammen bilden ein facettenreiches
Ensemble.
Und der Titelheld? Konstantin Gorny gibt den Giovanni nicht
als Charmeur, er zeichnet ihn überzeugend als selbstverliebten Dandy, der sich
Leporello wie den Frauen gegenüber gefühllos zeigt und Gewalt anwendet, wenn er
nicht sofort bekommt, was er will. Gesanglich wie darstellerisch eine
Meisterleistung. Unter der Leitung von Jochem Hochstenbach musizierte die
Badische Staatskapelle durchhörbar, in flotten aber nicht rasenden Tempi,
rhythmisch federnd, mit ausgefeilter Dynamik. Geschickt passten sich Dirigent
und Orchester den Sängern an, so dass selbst ein verfrühter Einsatz auf der
Bühne schnell aufgefangen wurde. Dass es in der Inszenierung stets deutlich um
das Eine geht, lenkt nicht vom musikalischen Genuss ab.
Ein facettenreich agierendes Ensemble (von links): Don Giovanni (Konstantin
Gorny), Zerlina (Diana
Tomsche), Masetto (Mika Kares), Donna Elvira (Christina Niessen), Donna Anna
(Ina Schlingensiepen)
und Don Ottavio (Bernhard Berchtold) in der Mozart-Oper am Staatstheater. Foto:
j. Krause-Burberg
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