Ulrich Hartmann, BNN, 08.07.2007
Zum Saisonschluss ließ sich die Karlsruher Oper nicht lumpen:
kürzlich „Otello", jetzt, als letzte Premiere der Spielzeit, „Don Giovanni" - zwei
Schwergewichte, beide mehr als nur respektabel auf die Bühne gewuchtet. Zum krönenden
Ende also Mozarts grandioses Drama, höchst gewagt angekündigt vom wohl mutigsten
Motiv der Karlsruher Theatergeschichte. Es kündigte, unter anderem auf dem Titel
des „Theaterspiegels", durchaus unmissverständlich die Absicht des Regisseurs an.
Nicht unbedingt geschmackssicher und die Gemüter der Damen nicht schonend, prangt
in der Mitte der weibliche Schoss. Aha - Don Giovanni als Sexposse. Das wäre zwar
übertrieben, aber Robert Tannenbaum schwebte, eigenen Äußerungen zufolge, in erster
Linie der „erotische Kitzel" der Geschichte vor, weshalb denn auch in seiner Inszenierung
alles um das eine kreist.
Doch lassen wir Mozarts genialer und faszinierender Musik den
Vorteilt Die sonnte sich am Premierenabend im ungetrübten Glanz des fabelhaften
Karlsruher Ensembles. Selten hörte man dieses Stück an gleicher Stelle so beflügelt,
leicht und durchsichtig, voller feiner Farben und Impulse, so spannend und mitreißend
musiziert. Der Motor dieses rundum animierenden Klangbilds hieß Jochem Hochstenbach,
und die Badische Staatskapelle folgte feinnervig und aufgeweckt seiner inspirierenden
Führung. Manchmal hätte man den gelegentlich patzenden Bläsern etwas mehr Präzision
und Schliff, den mitunter extremen Tempi mehr Gelassenheit gewünscht, aber was heißt
das schon angesichts der insgesamt prachtvollen
Leistung des Orchesters, das diesen Kosmos zwischen anrührender
Schlichtheit und packender Erregung aufs Schönste zum Leben erweckte. Lauter Stimmengold
hielt wieder das Solistenensemble bereit. Konstantin Gorny führte es in der Titelrolle
als Wüstling wie aus dem Bilderbuch an, ein Prachtbass, wie geschaffen für die Lust
an durchtriebener Unersättlichkeit, verführerisch geschmeidig sein „La ci darem
la mano", kraftvoll prickelnd seine Champagnerarie. Die Herren an seiner Seite hielten
sich wacker. Stefan Stoll als Leporello zog wunschgemäß und virtuos alle Register
dieser wunderbar kapriziösen Rolle, und Ulrich Schneider gab dem Komtur stattliche
Statur. Dass der notorische Langweiler Don Ottavio sich gleichwohl spielend die
Sympathie des Publikums ersang, lag am poetischen Schmelz des Tenors von Bernhard
Berchtold. Und Mika Kares konnte sich als Masetto ebenfalls hören lassen.
Etwas disparater wirkten die Damen. Überragend Ina Schlingensiepen
als Donna Anna, die dem Furor dieser Figur mit leuchtender Intensität und intelligent
geführter Stimme eine mitreißende Klanggestalt gab. Die gleiche Bewunderung verdiente
sich Christina Niessen, deren profilierter, wenn auch eigenwillig gefärbter Sopran
sich den Herausforderungen der Donna Elvira blendend und souverän stellte. Diana
Tomsches Zerlina wirkte unterdessen zwar quirlig, aber auch etwas blass.
Als launiges Flittchen darf Masettos Braut allerdings kräftig
auf die Tube drücken. Mit Strapsen und frivolen Platitüden markiert sie am deutlichsten
den falschen Dreh der ambitionierten Inszenierung Tannenbaums, die bei allen Meriten
den rechten Ausgleich zwischen Komik und Tragik, den das bewusst als „Dramma giocoso"
gekennzeichnete Zwitterwerk erfordert, glatt verfehlt. Im Streben nach Originalität
und billiger Erotik gerät die Inszenierung nicht selten in die Schmuddelecke -und
sie macht grobe Fehler: Don Ottavio, hier als Geistlicher in der Soutane (!) erscheinend,
setzt sich generös über seine zölibatären Pflichten hinweg und erklärt sich unverblümt
zum Gatten und Ersatzvater Donna Annas. Auch dem großen, durchaus nicht komischen
Charakter der Donna Elvira, die in Karlsruhe ihren Frust mit Tortenfraß und Alkoholmissbrauch
zu verdrängen versucht, wird die Regie kaum gerecht. Und Leporello? Der ist Chauffeur.
Und warum überhaupt Don Giovannis Haus voller Chauffeure ist, hat uns der Regisseur
auch nicht verdaten.
Gottlob gibt es nicht nur szenischen Unfug dieser Art, sondern
auch die edelgeschnittenen Kostüme (Ute Frühling), den gut vorbereiteten Chor (Markus
Bieringer) und sogar grandiose, ja visionäre Momente wie zum Beispiel die magische
„scena ultima": Zu Don Giovannis Höllenfahrt gerät die von Peter Werner subtil gestaltete,
mit der Projektion der Namen all der Geliebten des Protagonisten spielende
Bühne regelrecht ins Flimmern und Torkeln: Das passte endlich zur Größe der Musik.
Das Publikum jubelte. Am Freitag folgt die B-Premiere.
ENDE EINES LÜSTLINGS: Der „steinerne Gast" (Ulrich Schneider als Komtur) zwingt
Don Giovanni (Konstantin Gorny) in die Knie und in die Hölle: eine Szene
aus der erfolgreichen Premiere der Mozart-Oper im Badischen Staatstheater. Foto:
Jacqueline Krause-Burberg
konstantin gorny, bass, kritik | www.konstantingorny.com