Eine Mozart-Klamotte
Robert Tannenbaum langweilt mit Don Giovanni
Karlsruhe > Badisches Staatstheater - 07.07.2007
Wolfgang Amadeus Mozart - Don Giovanni > Tannenbaum, Hochstenbach, Gorny, Stoll
Kritik von Frank Bayer
www.klassik.com 09.07.2007
Ein ebenso abgegriffener wie flacher Witz, der sich seit vielen Jahren in der
so genannten Jugendszene am Leben hält, geht so: „Liebes Dr. Sommer Team, seit
zwei Wochen habe ich einen Freund. Wir unternehmen viel zusammen und ich weiß,
er ist die Liebe meines Lebens. Aber einmal saßen wir auf einer Parkbank und
er küsste mich. Dann habe ich ihn geküsst. Dabei legte er seine Hand auf meinen
Schenkel und fasste mir schließlich zwischen die Beine. Das war ein schönes
Gefühl, also griff ich ihm auch zwischen die Beine. Dort spürte ich einen flaschenähnlichen
Gegenstand. Liebes Dr. Sommer Team, kann es sein, dass mein Freund heimlich
trinkt?“
Die Leitung des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe hatte den amtierenden
Oberspielleiter Robert Tannenbaum mit der Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus
Mozarts ‚Don Giovanni’ beauftragt. Das Ergebnis wurde der Öffentlichkeit am
vergangenen Wochenende präsentiert und ließ die Vermutung aufkommen, eingangs
zitierter Witz sei dem Regisseur bekannt gewesen, habe gar als Leitmotiv seine
Arbeit beeinflusst. Denn der Amerikaner präsentierte eine Mozart-Klamotte dumpfester
Sorte, die so ziemlich jede Figur des zweiaktigen Dramas mit komischen Anklängen
eindimensional und zutiefst langweilig darbot.
Zunächst einmal darf man sich von der Werksubbezeichnung ‚dramma giocoso’ nicht
fehlleiten lassen. Dieses als Opera buffa kategorisierte Werk, bricht mit vielen
der bis dahin gattungsüblichen Besonderheiten und ist weitmehr dramatisch und
tragisch, als es komisch ist. Dass eine Opera buffa mit einem blutigen Mord,
der die gesamte Handlung des Werkes beeinflusst und eine düstere Grundatmosphäre
vorgibt, eröffnet, sorgte schon zu Mozarts Zeiten für erhebliche Irritationen.
Lustiges, gar fröhlich enthemmtes Agieren scheint hiernach absolut unmöglich.
Robert Tannenbaum scherte sich nicht wesentlich um die von Librettist Lorenzo
da Ponte und Mozart intendierte Ausgangssituation. Er konzentrierte sich vielmehr
auf das Zeichnen einfachster Charaktere, eine deutliche Unterscheidung in Gut
und Böse, in Opfer und Täter. Bei ihm war Don Giovanni ein grober, polternder
Nymphomane, der sich erfolglos an der Kultivierung von Machorismen versuchte,
der seine Macht, die sich über seinen adligen Stand und materiellen Wohlstand
definiert, stets missbrauchte, um angstlos seine körperlichen Triebe zu befriedigen.
Leporello, sein Diener, agierte als trotteliger Hasenfuß, der als rechte Hand
Don Giovannis und sein Backup zugleich, die Machenschaften seines ‚Herren’ verwaltete
und unterstützte. Das Programmheft kolportiert die Auffassung, Leporello sei
eine Art ‚Don Giovanni für Arme’, der stets mit Neid auf die Eroberungen des
anderen blickt - eine für mein Dafürhalten zutiefst einfältige Sicht auf die
vielleicht spannendste Figur des ganzen Werkes.
Auch den übrigen Charakterpaaren wurde auf diese von Kurzsicht geprägten Weise
zuleibe gerückt. Donna Anna und Don Ottavio (als katholischer Priester getarnt)
waren die asexuellen Wesen in einer Gesellschaft, die von Lust und Sünde dominiert
wird. Masetto und Zerlina mussten das einfältige Bauernpaar geben, das Affekt
und Effekt nicht zu unterscheiden versteht und sich nur in einer schwarz-weißen
Welt zurecht findet. Hinzu gesellte sich die ebenfalls adlige Donna Elvira,
die ihren Schmerz über die Untreue Don Giovannis in Schokotorten und Alkohol
zu ertränken versuchte. Dies alles hätte als Ausgangssituation für eine gehaltvolle
Figurenentwicklung dienen können - tat es aber nicht. Dafür hangelten sich die
Akteure von Gag zu Gag, die offenkundig sinnleeren Verwechslungs- und Verwicklungsepisoden
wurden nett bebildert aneinander gereiht, Don Giovanni verführte ohne Unterlass,
lernte nichts, riskierte auch in größter Gefahr noch eine dicke Lippe. Auch
alle anderen waren vor großen Gefühlen nicht gefeit, jeder wollte mit jedem;
wann immer es galt, körperliche Begierden auszudrücken, sanken die Frauen vor
Ihren Männern zu Boden und besangen und befühlten deren Genitalien. Suchte man
jedoch nach Gründen für das Handeln der Protagonisten, nach den Besonderheiten
der Figurenkonstellationen, nach dem Generationenkonflikt des Duos Leporello-Don
Giovanni (bspw. Lehrer-Schüler- oder Vater-Sohn-Verhältnis) wurde man von der
Regie allein gelassen. Vor allem deshalb, weil sich Tannenbaum diese Fragen
wohl selbst gar nicht stellte.
Ute Frühling steuerte der Produktion farbenfrohe Kostüme bei, die gut die Intentionen
Tannenbaums heraushoben. Erfreulich auch das Bühnenbild Peter Werners, das das
Labyrinthische des Handlungsstranges und die Charakterverschachtelungen abzubilden
schien. Hingegen konnten die Übertitelungen aus der Hand Pascal Paul-Harangs
nur bedingt erfreuen. Hier wechselten sich kluge, an der Gegenwartssprache orientierte
Übersetzungen mit solchen ab, die wenig vom kunstvollen und wundervoll hintersinnigen
Sprachwitz da Pontes übrig ließen.
Das Publikum liebte, bis auf wenige akustische Unmutsäußerungen, Tannenbaums
Don Giovanni genau so, wie es die Sänger des Abends geradezu auf Händen trug.
Und diese agierten auf zumeist gutem Niveau, auch wenn nur wenige in ihren Partien
vollends zu überzeugen wussten. Ina Schlingensiepen, eine zutiefst keusche Donna
Anna, machte vor allem mit kultivierten, warm timbrierten Pianissimi und der
intensiven Auskostung intimer Momente auf sich aufmerksam. Schade, dass die
Koloraturen der Partie ihr an diesem Abend auffallend Mühe bereiteten und so
manch intonatorische Unsicherheit aufkommen ließen. Ihr zur Seite stand mit
Bernhard Berchthold ein erfahrener Mozart-Tenor klassischer Prägung, der die
Höhen und Tiefen seiner Rolle mühelos zu meistern verstand, dabei stets bruchlos
zwischen den Registern und zwischen Kopf- und Burtstimme wechselte. Musikalisch
eine große Leistung. Diana Tomsche gab eine wundervoll jugendliche Zerlina,
darstellerisch wie stimmlich eine Idealbesetzung – ein flexibler, dehnbarer
und doch tragfähiger Sopran. Der Masetto Mika Kares’ war vor allem stimmgewaltig,
hätte jedoch einiges der stimmlichen und körperlichen Beweglichkeit seiner Partnerin
benötigt – schön gesungen, jedoch hüftsteif dargeboten. Ein Bühnentier im besten
Sinne des Wortes war Christina Niessen als Donna Elvira, die gestisch die Frustriertheit
Ihrer Partie ganz wunderbar dazustellen wusste. Während ihr die zarten Seiten
des Parts hörbar Schwierigkeiten bereiteten und auch manch Koloratur nicht ohne
Mühen bewältigt wurde, konnte Sie vor allem in den dramatischen, den von Ärger
und Wut gezeichneten Momenten mit großer, etwas zur Schärfe tendierender Stimme
für sich einnehmen.
In der Titelrolle präsentierte sich Konstantin Gorny so, wie man ihn aus seinen
Rollen am Haus bereits bestens kennt und schätzt: große Bühnenpräsenz, stimmgewaltige
Darbietung, agil im Ausdruck. Vor allem der sehr auf Präsenz ausgerichtete Einsatz
seiner mächtigen Stimme ließ früh Zweifel aufkommen, ob der Don Giovanni die
richtige Partie für ihn sei. Jener nimmersatte Liebhaber ist, folgt man der
Librettovorlage, ein Jugendlicher – ein junger Mann von höchstens zwanzig Jahren.
Da passte Gornys Interpretation, die dynamisch mehrheitlich zwischen Forte und
Fortissimo zu unterscheiden wusste, nur schwerlich ins Rollenschema, nicht zuletzt
auch aufgrund der sehr dunklen, wohlig-warmen Tonfarbe seiner Stimme. Dass er
darstellerisch diese Rolle – im Tannenbaum’schen Sinne – auszufüllen verstand,
soll nicht unbeachtet bleiben. Der direkte Vergleich mit Stefan Stoll als Leporello
verstärkte den Eindruck, einer eher unglücklichen Don Giovanni Besetzung. Leporello
ist der Vertreter einer älteren Generation, ein reifer, lebenserfahrener Mann,
der problemlos das sechzigste Lebensjahr überschritten haben dürfte. Stolls
jugendlicher, enorm klangschöner und flexibler Bariton, seine mühelosen Wechsel
zwischen ariosem und parlado Stil, seine perfekte Diktion hätten ihn für die
Titelrolle prädestiniert. Auch er war, ganz wie Gorny, ein großartiger Bühnendarsteller,
der die von der Regie intendierte einfältig plumpe Anlage seines Charakters
überzeugend umsetzte. Der Eindruck einer stimmlich ‚verkehrten Welt’ blieb.
Unter der Leitung von Jochem Hochstenbach begleitete die Badische Staatskappelle
das Bühnengeschehen in klassisch reduzierter Besetzung überwiegend unverdächtig,
jedoch weitestgehend sicher in Intonation und Notentext. Bedauerliche Abstriche
galt es diesmal in punkto Satzhomogenität der Holzbläser wahrzunehmen, deren
Stimmgewichtung all zu oft einer gewissen Beliebigkeit unterworfen schien. Trotz
vieler klangschöner Momente, vor allem in den Streichern, hätte man dem Dirigenten
mehr Mut zu Ausdrucksextremen, zu einem Mehr an dynamischen, klanglichen und
artikulatorischen Abstufungen, schlicht zu mehr Risiko gewünscht. Auch das Accompagnato
Myoung-Uh Ryus hätte die Handlung lebendiger und kreativer unterstützen können,
als es sein monotones Abspielen von Akkorden tat.
Großer Jubel des ausverkauften Auditorium war der Lohn für alle Beteiligten,
den sie sich ob ihres Einsatzes und Engagements verdient hatten. Dass die Inszenierung
vor Oberflächlichkeit und billigem Humor nur so langweilte, ist dramatisch.
(Man erinnere sich an die phänomenalen Don Giovanni Deutungen Vincent Boussards
in Baden-Baden oder die epochale Konwitschny-Fassung an der Komischen Oper in
Berlin.) Weniger schlimm sind die erwähnten sängerischen Defizite, wenn auch
bei hervorragender, kompetenter musikalischer Vorbereitung vermeidbar. Und das
sollte an einem Haus der Kategorie Karlsruhe, das sich mit Stuttgart oder Frankfurt,
keinesfalls jedoch mit Freiburg oder Heidelberg messen muss, das Ziel sein.
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konstantin gorny, bass, kritik
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